Ein bisschen musste Cedric Trinemeier zu seinem Glück gezwungen werden. Eigentlich war sein sportlicher Weg beim Faustball vorgezeichnet, den er als Teenager auf hohem Niveau spielte. Doch ein Freund seines Bruders hatte nicht aufhören wollen, ihn davon zu überzeugen, dem Kugelstoßen eine Chance zu geben. Dem Wechsel in die Leichtathletik stand der Mannheimer anfangs wenig euphorisch gegenüber, sodass er seine ersten Versuche lange hinauszögerte. Sein Probetraining war eine Trotzreaktion: „Irgendwann habe ich gesagt, ich komme mal mit. Aber wenn es mir nicht gefällt, lässt Du mich in Ruhe.“
Über ein Jahrzehnt später ist Trinemeier immer noch dabei und gehört inzwischen zur deutschen Spitze. Kugelstoßen hatte seine Faszination geweckt. Denn was einfach aussieht, ist ein hochkomplexer Prozess, bei dem viele Teilschritte passen müssen.
Kraft = Masse x Beschleunigung
Im Volksmund gelten Kugelstoßer als „die dicken Jungs“, doch mit diesem Stereotyp stimmt Trinemeier nicht überein: „Kugelstoßen ist sehr facettenreich und erfordert viele Leistungsfaktoren.“ Die aus dem Physik-Unterricht bekannte Formel gibt es vor: Um weit zu stoßen, müssen Kugelstoßer nicht nur kräftig, sondern auch schnell sein. Hinzu kommt Beweglichkeit, um die Abläufe sauber auszuführen. Dafür trainierte er in der Vergangenheit bis zu zwölf Mal pro Woche. Trotzdem: „Zufrieden ist man eigentlich nie. Man sucht immer nach dem perfekten Stoß.“
Mehrere deutsche Junioren-Meistertitel, Platz vier bei der Deutschen Meisterschaft der Aktiven und Finalteilnahmen bei Welt- und Europameisterschaften – Trinemeiers sportliche Vita liest sich trotz seiner 26 Jahre beeindruckend. Trotzdem: Der Sprung in die absolute internationale Spitze ist ihm verwehrt geblieben. „Es schien lange so, als wäre mein Weg vorgezeichnet, wohin es im internationalen Vergleich in der Aktiven-Klasse mal gehen würde“, sagt er.
Frage nach der Identität
Durch Verletzungen und falsche Entscheidungen, etwa eine zu späte Technik-Umstellung, verlor er im internationalen Vergleich den Anschluss. Für den ehrgeizigen Sportler eine harte Zeit, die zu einem Eingeständnis führte: Obwohl er in Deutschland weiterhin zur Spitze gehört, hatte es nach vielen Jahren, in denen er dem Sport alles untergeordnet hatte, nicht ganz für den Sprung in die Welt-Elite gereicht.
„In Zeiten von Niederlagen lernt man sehr viel über sich selbst“, reflektiert er heute. „Da habe ich mir auch eine Identitätsfrage gestellt, ob ich ‘nur’ Sportler bin oder noch mehr in mir steckt.“ Trinemeier wollte mehr sein als ein Athlet. Deshalb baute er sich ein berufliches Standbein auf.
Spitzensportstipendium schafft Verbindung zu Röchling
Von 2017 an studierte er an der Universität Mannheim. Währenddessen genoss er die Förderung des Spitzensportstipendiums der Metropolregion Rhein-Neckar, ohne die – wie er sagt – seine sportliche Karriere so nicht möglich gewesen wäre. Über das Stipendium sammelte er erste Berührungspunkte mit Röchling: Initiator und Schirmherr des Projekts ist Klaus Greinert, der als Geschäftsführer und Beiratsvorsitzender jahrzehntelang die Entwicklung des Unternehmens prägte.
Dort gelang Trinemeier der Berufseinstieg am Hauptsitz in Mannheim, wo er sich vom ersten Tag an gut aufgehoben fühlte. „Ganz besonders finde ich, dass über die Unternehmensbereiche hinweg ein großer Teamgeist vorhanden ist“, sagt er. Als Vorstandsassistenz hält er CFO Evelyn Thome den Rücken frei. Viele Attribute aus dem Leistungssport helfen ihm dabei auch im Büro Höchstleistung zu bringen: Disziplin, Zielgerichtetheit, Resilienz und die Bereitschaft, die Extrameile zu gehen.
Der Traum vom perfekten Stoß lebt weiter
Um den Leistungssport neben seiner Vollzeit-Stelle bei Röchling und einem berufsbegleitenden Master-Studium an der Mannheimer Business School weiterhin zu betreiben, muss er diese Extrameile aktuell öfter gehen. Trinemeier versucht, jeden Tag nach der Arbeit zu trainieren. Da kommt schnell die Frage auf, wie er all das unter einen Hut bekommt. „Das weiß ich manchmal selbst nicht“, gibt er mit einem Lachen zu. „Ich bin es gewohnt, dass meine Tage sehr lang sind.“ Weil er schon sein ganzes Leben mehrere Dinge parallel mache, fühle sich das für ihn weniger herausfordernd an.
Sehr gutes Zeitmanagement, viel Abwägung und Priorisierung sorgen dafür, dass er auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen kann. Stand früher der Sport an erster Stelle, geht er heute im Beruf aufs Ganze: „Ich committe mich zu hundert Prozent mit meinem Job. Mir ist wichtig, dass ich nicht als der Sportler gesehen werde, der nebenher noch arbeitet und auf den man sich nicht verlassen kann.“ Aufgrund terminlicher Verpflichtungen werden daher aus fünf geplanten Trainingseinheiten auch mal drei oder vier.
Wenn es aber zum Kugelstoß-Wettkampf geht, kommt Trinemeiers sportlicher Ehrgeiz doch zum Tragen: So auch bei der diesjährigen Deutschen Meisterschaft vom 28. bis 30. Juni in Braunschweig, bei der er trotz der Dreifachbelastung auf einen Erfolg hofft: „Ich will auf jeden Fall unter die besten Acht kommen, um im Finale dabei zu sein. Und wenn sich die Tür auch nur einen Spalt weit öffnet, will ich da sein.“
Nachtrag: Mit einer Weite von 18,53 Meter erreichte Cedric Trinemeier den sechsten von 14 Plätzen. Er ist sehr zufrieden mit seinem Ergebnis.